Wenn Abstand, dann für alle!

Abstand halten in Zeiten von Corona ist richtig und vernünftig. Wenn einige zur Schau stellen, wie sie das Gebot physischen Abstands ignorieren, ist das in der Tat unsolidarisch gegenüber all denen, die von Corona schwer getroffen werden können. Derzeit wird Isolation aber zum Inbegriff der Solidarität umgedeutet. Isolation muss man sich aber leisten können. Solidarität bedeutet mehr: nämlich soziale Gleichheit zu schaffen, damit alle geschützt und sicher leben können!

Dies ist kein Text gegen das Abstand Halten in Zeiten von Corona. Aber uns stellt sich die Frage, wie und von wem gerade der Begriff „Solidarität“ verwendet wird. Jene, die immer das neoliberale ICHICHICH beschworen haben, verlangen jetzt Solidarität. Das macht stutzig. Wenn Solidarität auf „Abstand“ reduziert wird, passt sich das ein in das Bild vereinzelter Menschen. So wie jede*r für ihr finanzielles Wohl selbst zuständig ist (Unternehmer*in ihrer selbst), werden im Neoliberalismus alle individuell für ihre Gesundheit verantwortlich gemacht. Aber wer kann sich Gesundheit leisten? Und für wen gilt die Regel des „Abstand halten“ – und wer wird weiter gezwungen, auf engstem Raum zu leben? Die soziale Frage wird in der Debatte um Corona ausgeblendet, dabei grassiert sie jetzt erst recht. Abstand halten ist nötig, aber das kann man nicht mit Solidarität gleichsetzen!

Hotelzimmer statt Repression

In Dresden wurden die Nachtcafés für Obdachlose vorzeitig geschlossen. Nun müssen die Betroffenen wieder auf der Straße schlafen, obwohl es gerade nochmal kalt geworden ist. Selbstverständlich können solche prekären Räume, die unter anderem durch Ehrenamt abgedeckt werden, die Gefahr von großen Ansteckungen nicht in Kauf nehmen. Daher braucht es gute, dauerhafte und gut ausgestattete Strukturen, die solche Krisen auffangen können. „Menschen, die ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben, die in Sammel- oder Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, in prekären Mitwohnverhältnissen oder in sonstigen Dauerprovisorien leben, sind eine gesundheitlich hoch belastete Bevölkerungsgruppe. Sie leiden häufiger als die Mehrheitsbevölkerung unter Mehrfacherkrankungen. Viele wohnungslose Menschen gehören also zur Risikogruppen, haben aber keine Chance soziale Kontakte zu reduzieren und Schutz durch den Rückzug in die eigene Wohnung zu finden“, gibt die BAG Wohnungslosenhilfee.V. in einer Pressemitteilung mit Forderungen der Selbstvertretung bekannt.

In Dresden hat die Polizei am Samstag eine Gruppe Obdachloser in Gewahrsam genommen, weil diese gemeinsam im Park getrunken haben und die Allgemeinverfügung laut Polizei nicht verstanden hätten. Doch selbst wenn, wohin hätten sie gehen sollen? Wie sollen sie solchen Auflagen nachkommen? Wenn wir uns in unseren WGs und Familien aufhalten dürfen, müssen Obdachlose alleine auf der Straße sein? Jedenfalls kann Repression keine Antwort sein. In Frankreich hat der Staat inzwischen Hotels zur Unterbringung von Obdachlosen angemietet. Das muss auch hier sofort geschehen!

Hört hin bei häuslicher Gewalt in Zeiten von CoronaNicht für alle ist die Wohnung oder die Familie ein angenehmer Ort des Rückzugs, sondern mitunter ein repressiver Ort oder ein Ort der Gewalt. Die Gefahr vor Übergriffen droht, wie zum Teil in China, auf das Dreifache anzusteigen. Es braucht eine Stärkung bzw. Entlastung von Frauenhäusern und Schutzorten vor Gewalt! Hotels können ebenso für Menschen angemietet werden, die von Gewalt bedroht sind. (Mehr zum Thema und Notrufnummern bei den e*vibes)

Hotelzimmer für Obdachlose, Wohnungslose und alle, die bisher in Sammelunterkünften und Lagern leben müssen. Hotelzimmer für Betroffene häuslicher Gewalt!
Spekulationsleerstand in der Altstadt zu Sozialwohnungen!

Den Armen nicht das Essen weghamstern

Die Tafeln stellen die Lebensmittelausgabe ein und warnen davor, dass sich darüber hinaus das Angebot verknappen wird – weil viele Leute ohne Grund Hamsterkäufe anlegen. Zusätzlich sind viele billige Produkte in den Supermärkten leergekauft. Auch das trifft Arme. Wie soll man von Hartz-IV-Sätzen oder kleiner Rente Vorräte anlegen? Wer kann sich die teuren Produkte leisten, die am Ende in den Supermärkten übrig bleiben? Von Hartz-IV kann man keine 25 Euro für Desinfektionsmittel ausgeben.

Corona wird in Fragen von Wohnen, Gesundheit und Nahrung die Armen treffen und die soziale Not und Ungleichheit noch verschärfen. Rentner*innen, die mit Minijobs ihre geringe Rente aufstocken, gefährden sich entweder, indem sie weiterarbeiten, obwohl sie zur Risikogruppe gehören, oder verarmen, wenn sie den Job aufgeben.
Das Aussetzen sämtlicher SGB II Sanktionierungen und das Aufstocken von HartzIV – eine tatsächliche Grundsicherung – sind das absolute Minimum jetzt erforderlicher Hilfe. Doch die soziale Frage wird in der Corona Debatte ausgeblendet, die Krise wird individualisiert und lässt die Prekären alleine.
Mieten aussetzen, Sozialhilfe ohne Sanktionen!

Lager auflösen! Wenn Abstand halten, dann für alle!

Abstand halten, das Gebot der Stunde, ist zudem nicht für alle Menschen möglich und für viele gar nicht erwünscht. Weiterhin wohnen etwa in Dresden viele Menschen im Anker-Zentrum genannten Lager auf der Hamburger Straße. Sie haben keine Chance, sich zurückzuziehen, teure Medikamente oder Hygienemittel zu kaufen oder ihre Gesundheitsvorsorge frei zu wählen. Der Sächsische Flüchtlingsrat fordert erneut: „Schutz vor Corona – Geflüchtete nicht vergessen – Lager und Knäste schließen!“

Während Corona die Medien füllt, fällt die Situation der Geflüchteten in Griechenland und an Europas Außengrenzen hinten runter. Dabei sind die Lager in Griechenland schon jetzt überfüllt, die Geflüchteten leben ohnehin unter unwürdigen und gesundheitlich gefährlichen bis tödlichen Umständen. Ärzt*innen warnen bereits davor, dass Corona-Fälle in den Lagern zur medizinischen Katastrophe führen würden. „Generell gibt es eine große Angst vor dem Corona-Ausbruch im Camp“, berichten unsere Genoss*innen von der URA aus dem Camp Moria auf der Insel Lesbos in einem Interview auf addn.me. Sie sprechen dort auch ausführlich über die gesundheitliche und soziale Lage im Camp und die politische Situation.

Dass Michael Kretschmer jetzt von großen Herzen und kleinen Möglichkeiten spricht, ist unfassbar unsolidarisch, denn: „Wir haben Platz!“ Den Forderungen des Flüchtlingsrats und des Dachverbands Sächsischer Migrantenorganisation können wir uns nur anschließen. Auch in Sachsen haben sich in den vergangenen Jahren viele Menschen eingesetzt und organisiert. Das ist Solidarität. Wir können Geflüchtete aufnehmen und gut unterbringen.
Alle Lager auflösen, Wohnungen für alle!
Sofortige Evakuierung von Moria! Wir haben Platz!

Kapitalismus und deutsche Sparsamkeit

Begrenzte Möglichkeiten für Geflüchtete hier, grenzenlose Kredite für Unternehmen da. Statt Mieten jetzt auszusetzen, um den Menschen in der Corona-Krise zu helfen, wird die Bevölkerung schon mal auf die nächsten Bankenrettungen vorbereitet. Die Bundesregierung kippt für Unternehmen, die Arbeitsplätze bieten, nun ihre heilige schwarze Null.

Wir trauern ihr nicht nach. Dank des Mantras der schwarzen Null wurden unsere Städte kaputt gespart, sodass es jetzt an guter öffentlicher Infrastruktur wie städtischen Wohnungen fehlt – wo wiederum Geflüchtete und Arme günstig wohnen könnten, ohne die Vonovia im Nacken. Krankenhäuser wurden klein gespart und müssen dauerhaft unter Vollbelegung operieren; für Krisen wie diese gibt es keine Kapazität. Es ist auch wegen des brutalen Spardiktats der Troika, dass sich in Griechenland die Finanzkrise derart verschärfte, der Staat verschuldet, kaputtgespart und privatisiert ist — aber gleichzeitig mit der sozialen Not der ankommenden Migration als Mittelmeerstaat alleine gelassen wurde. Und der sächsische MP behauptet, die Möglichkeiten seien begrenzt. Schluss damit und Knete her!
Solidarität heißt Abgeben! Schwarze Null beerdigen! Knete her für Soziales und Gesundheit!

Was tun wir?

  • Nachbar*innen helfen: Hängt Zettel aus und bietet Unterstützung an. Alle brauchen Ressourcen, nicht nur die, die am schnellsten hamstern! Rückt das Klopapier wieder raus!
  • Beteiligt euch oder installiert Gabenzäune in Eurer Umgebung und teilt Lebensmittel für den Verzehr ohne Zugang zu einer Küche und Hygieneartikel! Gebt Obdachlosen Geld, wenn sie Euch ansprechen und mischt Euch bei Polizeikontrollen ein, schaut nicht weg!
    Gabenzäune in Dresden gibt es zum Beispiel an der Post auf der Königsbrücker Straße, dem Spielplatz Louisenstraße (Louisengrün) und am Martin-Luther-Platz.
  • Druck ausüben für die Aufnahme von Geflüchteten in Sachsen
  • Druck ausüben für eine Landeerlaubnis für Mission lifeline
  • Petition unterschreiben für eine Mietenpause während Corona
  • Hängt Transpis aus euren Fenstern für Bleiberecht und Mietaussetzung! Wir können keine Demos machen, aber zeigen, dass wir da sind!

Wenn Abstand, dann für alle!
Für echte Solidarität in der Corona-Krise – Solidarität bleibt die schönste Beziehung
gruppe polar