Recht auf Stadt!

Unser Redebeitrag „Recht auf Stadt!“, mit dem wir die Antifaschistische Tanzdemonstration durch Dresden Löbtau: „DranBleiben – rebellisch, solidarisch, selbstorganisiert“ am 23. Juni 2018 unterstützt haben:

Gedankengänge frei nach Henri Lefevbre, Niels Boeing und dem Hamburger Recht auf Stadt Netzwerk

Recht auf Stadt! Ist das mehr als eine Parole?

Ist das ein Appell, eine Forderung oder bloß thematische Klammer? Beschränken wir uns auf Mietenstreik, ist es der Kampf um Freiräume oder Kommunismus?

Recht auf Stadt damit meinen wir:

Erstens das Recht auf Zentralität, das heißt das Recht darauf nicht ausgeschlossen zu werden. Ausgeschlossen in Räume der Diskriminierung:
an den Stadtrand, in Heime, Lager, Ankerzentren, Abschiebeknäste. Und es bedeutet Zugang. Zugang zu den Orten des gesellschaftlichen Reichtums, der städtischen Infrastruktur und des Wissens, zu Wasser, Wohnung, Gesundheit, Bildung, Mobilität, öffentlichen Räumen.

Zweitens das Recht auf Differenz, auf Verschiedenheit. Die Stadt ist ein Ort des Zusammentreffens, des Sich-Erkennens und Anerkennens und der Auseinandersetzung.
Sie bedeutet Verschiedenheit in allen Facetten.

Drittens das Recht auf Teilhabe an den Aushandlungsprozessen für die Stadt von morgen.
Widerstand gg. Privatisierung von Gemeingütern, Beteiligung an Entscheidungen zu Bauvorhaben und Großprojekten.

Mit Urbanisierung meinen wir nicht, dass weltweit immer mehr Menschen in Städten leben.
Das Urbane definiert sich nicht in Abgrenzung zu ländlichen Räumen. Urbanität ermöglicht Verbindungen zwischen Gruppen und Ideen zu schaffen und so Räume für eine andere Gesellschaft zu politisieren. Mit der „urbanen Gesellschaft“ meinen wir vor allem eine nicht-kapitalistische, eine kollektiv gestaltete und individuell erlebbare Gesellschaft!

Die Forderung nach einem Recht auf Stadt für alle ist somit Staats- und Herrschaftskritik. Sie zielt auf die Überwindung des bestehenden Systems.
Denn: Nur ein globales Projekt kann alle Rechte, die der Individuen und die der Gruppen, verwirklichen.

Insbesondere kritische, marxistische Stadtforscher*innen nutzen die Parole Recht auf Stadt für eine radikale Gesellschafts- und Systemkritik. Wir begreifen sie als utopischen, gegenhegemonialen Ansatz. Die Idee des „Recht auf Stadt für alle“ steht in Widerspruch zu den bestehenden kapitalistischen Verhältnissen.

Recht auf Stadt beschränkt sich nicht auf besseres Wohnen oder niedrige Mieten. Es ist das Recht auf ein anderes Leben im Rahmen einer gerechten Gesellschaft. Es geht um Selbstbestimmung und Selbtverwaltung statt bloßer Partizipation. Kurzum: Basisdemokratie statt repräsentativer »Demokratie«.

Zur Umsetzung der urbanen Utopie stellen sich viele Fragen. Wer soll entscheiden? Wem sollen die Voraussetzungen des Alltagslebens gehören? Wie soll produziert werden? Heute ist vor allem eine Frage zentral: Wer soll zur Stadt gehören?

Initiativen weltweit kämpfen für eine Urban citizenship oder Stadtbürger*innenschaft: Städte statt Staaten!
Stadtbürger*in sind alle, die hier sind und noch kommen werden!
In Konzepten um Stadtbürger*innenschaft wird nicht Migration, sondern die ungleiche Verteilung sozialer Rechte und damit der ungleich verteilte Zugang zu Ressourcen als Problem ausgemacht. New York machts vor: Dort wurde 2015 ein städtischer Personalausweis eingeführt, den alle Bewohner*innen unabhängig ihres Aufenthaltsstatus beantragen können.

Im Rahmen der G20 Proteste hat auch das Netzwerk „Recht auf Stadt Hamburg“ mit der Ausgabe einer Urban Citizenship Karte im Arrivati Park begonnen.

Ein weiteres Konzept heißt Sanctuary cities („Zufluchtsstädte“) – es handelt sich um weltweites Netzwerk von Städten und Gemeinden in den USA, Kanada. In Europa gibt es Sanctuary Cities in England, Wales, Irland und Schottland sowie Barcelona.
Die Stadtverwaltungen wollen allen Bewohner*innen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen gewährleisten und weigern sich, Repression gegen „Illegalisierte“ auszuüben oder an Abschiebungen mitzuwirken.

Einen Schritt weiter gehen die Cities of Solidarity

Eine Stadt, aus der kein Mensch abgeschoben wird.
Eine Stadt, in der sich alle frei und ohne Angst bewegen können.
Eine Stadt, in der kein Mensch nach einer Aufenthaltserlaubnis gefragt wird.
Eine Stadt, in der kein Mensch illegal ist.
Eine Stadt, in der alle Menschen Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung haben.
Eine Stadt, an der alle Menschen teilhaben und mitgestalten.

Das sind die grundlegenden Vorstellungen von einer Solidarity City.

Solidarity Cities gibt es bereits zahlreiche auf der ganzen Welt.

Den Anfang hat Toronto in Kanada gemacht. Seit mehr als 10 Jahren arbeitet ein Bündnis unterschiedlicher Initiativen an der Durchsetzung. Der City Council hat Toronto im Jahre 2013 zur Sanctuary City erklärt. Die Stadtregierung hat die Polizei angewiesen, nicht länger den Aufenthaltstatus von Menschen zu kontrollieren. Dadurch entsteht ein faktisches Bleiberecht in der Stadt. Das ist eine Voraussetzung, solidarische Orte und Strukturen einer „Stadt für Alle“ zu entwickeln – für ein Miteinander, bei dem Menschen unabhängig von Status und finanziellen Kapazitäten wohnen, arbeiten und leben können.

„Die Krise des verstädterten globalisierten Kapitalismus spitzt sich weiter zu. Sämtliche Ressourcen und sozialen Beziehungen werden der kapitalistischen Inwertsetzung unterstellt. Immer größere Teile der Bevölkerung sehen sich einer zunehmenden Prekarisierung ausgesetzt – während der Reichtum der Wenigen ungebremst wächst. Rechtspopulistische [und faschistische] Bewegungen gewinnen mit ihrem Versprechen an Boden, die Krise in reaktionärer Form als nationale Gemeinschaft zu lösen. Und streben unverhohlen eine neue, brutalisierte Klassengesellschaft an. Das Recht auf Stadt ist eine radikal andere Antwort auf diese Krise.“ (Recht auf Stadt Netzwerk Hamburg)

Literaturhinweise:
Nils Boeing: Von Wegen – Überlegungen zur freien Stadt der Zukunft
Andrej Holm / Dirk Gebhardt (Hrsg.): Initiativen für ein Recht auf Stadt – Theorie und Praxis städtischer Aneignungen
Henri Lefebvre: Das Recht auf Stadt