Wer wissen wollte, konnte es wissen: Oury Jalloh, das war Mord!

Stand der Ermittlungen — Kritik an Berichterstattung — Aufruf zur Demo und Zugtreffpunkt

Mit diesem Tweet reagierte
die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh‏ auf den Polizeieinsatz gegen ein an der Roten Flora in Hamburg angebrachtes Transparent, auf welchem zu lesen war: „Oury Jalloh, 7. Januar 2005, ERMORDET VON DEUTSCHEN POLIZISTEN“.

Die Wahrheit ertragen – das können deutsche Polizeibeamte ganz offensichtlich nicht. Selbst dann nicht, wenn die Spatzen sie bereits von den Dächern pfeifen, in kürzester Zeit fast 100.000 Menschen die Petition „Mein Freund #OuryJalloh – Es war Mord! Ermittlungsverfahren nicht einstellen“ unterschreiben und die Presse den „größten Justizskandal im Nachkriegsdeutschland“ ausgemacht hat (Monitor am 30.11.2017). Der Korpsgeist hat eben nicht nur in Dessau zu einem Schweigekartell geführt, sondern reicht auch bis nach Hamburg.

Die mit einem Häckchen versehenen Wortgruppen umreißen anschaulich, wie sich die letzten 13 Jahre für die Familie und Freund*innen von Oury Jalloh gestalteten. Von Beginn an kämpfte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh für die vollständige Aufklärung der Todesumstände. Sie protestierte, demonstrierte, stellte eigene Untersuchungen an, sammelte Geld, um eine Zweitautopsie des Leichnahms und ein Brandgutachten erstellen zu lassen.
„Es war eine kleine Gruppe von AktivistInnen, die während dieser ganzen Jahre als Einzige immer wieder auf das Offensichtliche hingewiesen und Aufklärung verlangt haben. Dafür haben sie einen hohen persönlichen Preis bezahlt.“ (taz)

Denn von Anfang an waren sie massiver Repression durch die Polizei ausgesetzt. Aufgrund ständiger, anlassloser Ermittlungen wegen angeblichen Drogenhandels wurden Mouctah Bah, einem Freund Oury Jallohs, Ende 2005 die Lizenz zum Betrieb seines Internetcafés vom Ordnungsamt entzogen. Weitere Hausdurchsuchungen, rassistische Kontrollen und demütigende Praxen seitens der Polizei begleiteten die Aktivist*innen in den folgenden Jahren. Obwohl der Slogan “Oury Jalloh – das war Mord” von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, griffen Polizeibeamte bei der Gedenkdemonstration am 7. Januar 2012 die Demonstrierenden massiv an. Mehrere Demonstrant*innen wurden teilweise schwer verletzt. Es folgten Prozesse wegen Beleidigung. Aktivist*innen wurden teilweise zu hohen Geldstrafen verurteilt.

Die massiven Einschüchterungsversuche haben ihr Ziel verfehlt. Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh hielt an ihrem Kampf für die Wahrheit und die Gerechtigkeit fest. Nachdem das bereits 2013 vorgelegte Brandgutachten zum Schluss kam, dass nur mithilfe von Brandbeschleunigern ein solches Brandbild, wie es die Zelle Nr. 5 zeigte, hervorgerufen haben konnen, trat im Oktober 2015 ein weiteres durch die Initiative beauftragtes internationales Gutachterteam mit Untersuchungsergebnissen vor die Presse. Auch diese Expert*innen kamen zu dem Schluss, dass eine dritte Person das Feuer entzündet haben muss. Die Staatsanwaltschaft Dessau reagierte darauf, indem sie eigene Brandversuche in Auftrag gab, die im August 2016 in Schmiedeberg (Sachsen) stattfanden. Unter Angaben fadenscheiniger Gründe wurden die Ergebnisse dieser Brandversuche der Öffentlichkeit lange vorenthalten.

Wie Monitor am 30.11.2017 berichtete, trafen sich Anfang Februar 2017 unter Ausschluss ebendieser die Staatsanwälte aus Dessau mit Brandexpert*innen, Toxikolog*innen, Rechtsmediziner*innen und Chemiker*innen. Danach änderte der Dessauer Oberstaatsanwalt Bittmann seine Meinung. In einem internen Schreiben vom 4. April 2017 spricht er von Mordverdacht und benennt Tatverdächtige. Kurz darauf wurde das Verfahren der Staatsanwaltschaft Dessau entzogen und nach Halle übergeben. Die Staatsanwaltschaft Halle stellt die Ermittlungen nach wenigen Monaten ein. Kurz danach gelangt das besagte interne Schreiben zum Fernseh-Magazin Monitor.

Die neue Erzählung: spektakuläre Wende

Ein großer Teil der Medienlandschaft in Deutschland berichtet nun über eine „überraschende Wende“ (Tagesschau), eine „spektakuläre Wende (Welt) oder eine „dramatische Wende“ (Mitteldeutsche Zeitung). In den Artikeln geht es aber nur teilweise um die tatsächliche Wende in den Ermittlungen — also dass erstmals ein Staatsanwalt von der schwachen These der Selbstentzündung abrückte und wegen Mordes ermitteln wollte. Stattdessen behaupten die Journalist*innen, es gebe eine Wende in den Fakten und Erkenntnissen um den Tod von Oury Jalloh, oder legen dieses Verständnis in ihren Artikeln zumindest nahe.

Dabei gibt es überhaupt keine neuen Erkenntnisse: Schon 2013 zeigte das Brandgutachten im Auftrag der Initiative, dass Oury Jalloh sich nicht selbst verbrannt haben konnte. Ebenso war längst bekannt, dass Oury Jalloh beim Ausbruch des Feuers wahrscheinlich bewusstlos oder tot war — weil die Obduktion keine Anzeichen von Stress und Panik finden konnte (es wurde kein Noradrenalin gefunden, siehe die Pressemitteilung der Initiative aus dem Jahr 2012). Zustand der Zelle, plötzlich aufgetauchtes Feuerzeug, Gutachten: Die Selbstmord-These war von Anfang an schwach und ist seit dem Engagement und den Recherchen der Initiative unhaltbar! Einzig: Die Kritik wurde jahrelang von People of Color und anderen Aktivist*innen vorgebracht und von den meisten liberalen Medien nicht für glaubhaft und relevant befunden wurden.

Abseits linker Medien und mit einigen guten Ausnahmen (das Radio-Feature von Margot Overath „Oury Jalloh – die widersprüchlichen Wahrheiten eines Todesfalls“) wurde über die Ermittlungen so berichtet, als sei die Darstellung der Behörden logisch und könnte erstmal neutral wiedergegeben werden. Auf die Kritik der Initiative wurde in der Regel im letzten Absatz kurz verwiesen — und selbst das war schon Ergebnis unermüdlicher Kämpfe von Demonstrationen bis Pressearbeit. Das lässt sich auch in der Sprache deutlich erkennen: So schrieb die dpa noch 2014 davon, dass Jallohs Matratze „in Brand geraten war“ und die Initiative „an eine Mordthese glaube“. Während die Darstellung der staatlichen Behörden oftmals vermeintlich neutral wiedergegeben wird, kommt die Initiative unglaubwürdig rüber.

Besonders problematisch war die Berichterstattung über den Prozess gegen den diensthabenden Polizisten wegen fahrlässiger Tötung: Er solle den Feueralarm ignoriert haben, während Oury Jalloh in der Zelle verbrannte. Das Verfahren wurde bejubelt:
„Es kann nun niemand mehr sagen, dass die Justiz einen Skandal unter den Teppich kehrt. Im Gegenteil: sie hat den Teppich weggezogen“ (Süddeutsche Zeitung 2010)

Tatsächlich gab es dieses Verfahren aber nur auf Basis der Selbstmord-These: Oury Jalloh sei nicht geholfen worden, das wurde hier verhandelt und verurteilt, und kein Mordverdacht. Dieses Verfahren und die euphorische Berichterstattung haben also eher daran mitgewirkt, Fragen und Ermittlungen wegen Mordes zu verdrängen als sie aufzuklären.

Für diese Art der Medienberichterstattung könnten wir zahllose Beispiele finden. Die bürgerlichen Medien haben also selbst dazu beigetragen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft jahrelang haltlose Thesen vertreten und die Wahrheit vertuschen konnten. Jeder Artikel, der — im Angesicht der öffentlich gemachten Kritik — auch nur neutral die verdrehte Realität der Behörden wiedergab, hat daran mitgewirkt, dass das Opfer beschuldigt und die Familie gedemütigt werden konnte. Nach der Ermordung Oury Jallohs wurde ihm auch noch eine würdige Erinnerung verwehrt. Das geschah wohl kaum aus böser Absicht, sondern aus zu großer Staatsnähe, kritiklosem Vertrauen in staatliche Behörden und institutionellem wie gesellschaftlichem Rassismus.

Denn People of Color sind in den Medien nicht ausreichend repräsentiert, werden nicht ernst genommen, werden im Zweifel kriminalisiert. Spätestens seit der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) muss auch Journalist*innen klar sein, dass den Verlautbarungen staatlicher Behörden mit kritischer Distanz zu begegnen ist (eine journalistische Selbstkritik).

Wer es wissen wollte, konnte es wissen, und wer es schreiben wollte, konnte dies tun: Oury Jalloh, das war Mord!

Demonstriert mit uns am Sonntag, 7. Januar 2018 in Dessau in Gedenken an Oury Jalloh, für Aufklärung und Gerechtigkeit!
Solidarisiert Euch mit der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh!
Unterstützt die Arbeit der Unabhängigen Kommission zur Aufklärung der Todesumstände und der Vertuschung im Fall Oury Jalloh durch Spenden!

Touch ONE – Touch ALL!

Info- & Mobiveranstaltung: 20. Dezember um 20 Uhr im AZ Conni

Zugtreffpunkt am 7. Januar
11:00 Bahnhof Neustadt
11:22 Zug fährt ab
Unseren (ausführlicheren) Aufruf von letztem Jahr nachlesen

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