¡Ya basta – Es reicht!

Thesen zu Solidarität in der Krise – eine Polemik gegen deutsche „Angebote“ in der Krise

1. Unerträglicher Chauvinismus

Seit der Verschärfung der Krisendynamik im Euroraum und dem ersten Hilfeersuchen Griechenlands nahmen die chauvinistischen Töne hierzulande in der Politik, den Redaktionsstuben und an den Stammtischen unentwegt zu. „Die Griechen“ haben über ihre Verhältnisse gelebt und sind selbst in der Krise nur mit Feiern und Ouzo trinken beschäftigt. Umgekehrt wird die Potenz der deutschen Wirtschaft selbstverständlich auf die eigene, individuelle übertragen. Anstatt sich auf die Seite der Lohnabhängigen, Arbeitslosen, Geflüchteten und Rentner*innen zu stellen, die in Griechenland, Deutschland und dem Rest Europas am Wenigsten von Wirtschaftswachstum, günstigen Krediten und Steuerhinterziehung profitiert haben, neidet man lieber das, was in Griechenland an Daseinsfürsorge zu Beginn der Krise noch vorhanden war. Mit dem Zuspitzen der Krise in den letzten Tagen und Wochen werden die Töne im überwiegenden Teil der deutschen Medienlandschaft unerträglich.

In der Debatte wird von vielen Seiten, zumal von deutscher, der SYRIZA oder „den Griechen“ die Schuld an der aktuellen Situation zugeschoben. Dabei wird sowohl die Geschichte der deutschen Wirtschaftshegemonie ausgeblendet wie auch die Logik der kapitalistischen Gesellschaft. Der Kapitalismus bringt Krisen hervor. Einzelnen Akteur*innen die Schuld zuzuweisen affirmiert die Logik individueller Verantwortung in der Leistungsgesellschaft: Wer nicht arbeitet/spart/kürzt, soll auch nicht essen. Selbstverständlich trägt auch ein korrupter griechischer Staatsapparat Mitverantwortung. Darauf wird mit Häme herumgeritten und dabei die sozialen Folgen der Krise ausgeblendet.

Völlig verloren geht dabei jede empathische Regung und jeder Funke Solidarität. Der griechische Staat hat die Hälfte der öffentlichen Krankenhäuser geschlossen, Menschen leben ohne Strom, weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlen konnten. Vielen fehlt längst die Perspektive, sodass auch die Zahl der Selbstmorde drastisch angestiegen ist. Im deutschen Diskurs wird das fast völlig ausgeblendet oder sofort „den Griechen“ selbst angelastet. Selbstgerecht können die fleißigen Sparer*innen und Steuerzahler*innen  auf soziales Elend nur blicken, weil sie sich vollständig empathielos zeigen. Sie erschrecken nicht, nehmen keinen Anteil und verweigern explizit jede Solidarität – selbst diese muss man sich anscheinend „verdienen“. Die Krise in Griechenland zeigt auch, wie fragil die „heimische“ Stabilität ist. Der Abstieg scheint jederzeit möglich und wird den Betroffenen daher umso heftiger angelastet und abgewehrt.

2. Deutsche als Prediger? Maul halten und Schulden begleichen!

Die Kommentarspalten und das Auftreten deutscher Politiker*innen machen uns ratlos bis wütend. Wie kann es eigentlich sein, dass 70 Jahre nach dem Nationalsozialismus die Menschen hier vergessen haben, wie sehr ihre Eltern, Großeltern und Urgroßeltern in Europa gewütet haben? Wie kann es sein, dass der krasseste Angriff auf die Zivilisation heute kaum noch eine Rolle spielt, wenn es um die moralische Bewertung der Situation geht? Wie kann es sein, dass sich Deutschland via EU hinstellt und anderen sagt, was sie zu tun und zu lassen haben, während es selbst noch nicht mal bereit ist auch nur anzuerkennen, dass es beim griechischen Staat (und nicht nur dort) noch offene Rechnungen hat. Deutschland ist der größte Schuldner Europas. Die ausstehenden Reparations- und Entschädigungsleistungen sind das eine. Das andere ist die ökonomische Ausgangssituation, die dem „Wirtschaftswunder“ Deutschland, finanziert durch den Raub an den Opfern des Nationalsozialismus, durch Ausbeutung und Ausplünderung der besetzten Staaten, die Stundung der Reparationsforderungen im Londoner Schuldenabkommen und den Hilfsprogrammen aus den USA (Marshall-Plan) einen Vorteil im innereuropäischen Wirtschaftsraum geschaffen hat. Wie kann es also sein, dass sich heute allen Ernstes Deutsche hinstellen und selbstgefällig behaupten, sie seien „fleißig“, würden „spät in Rente“ gehen und seien weniger „korrupt“? Welche Dreistigkeit! Diese völlig absurden Verhältnisse bringen Bini Adamczak und Jakob Apfelböck in einem Satz auf den Punkt: „Die historische Lehre lautet: Wer seine Nachbar*innen mit Massenmord und Vernichtungskrieg überzieht, wird mit einem Wirtschaftswunder von nicht unter 70 Jahren bestraft.“ Dem ist nicht hinzuzufügen, außer: Deutschland halts Maul! Knete her!

3. Austerität: Scheißleben für alle!

Deutschlands heutige ökonomische Vormachtstellung wurde durch die Umsetzung der Agenda2010 zementiert. Die jahrelangen Reallohnsenkungen und der damit einhergehende Exportüberschuss sind die Kehrseite nicht nur der griechischen Schulden. Dass Deutschland dabei zahlreiche zwischenstaatliche Vereinbarungen ignoriert hat, wird mit der Selbstgefälligkeit des Stärkeren abgeschüttelt. Man muss das ganz klar als Wirtschaftskrieg bezeichnen; auf diese Art erzielte Gewinne haben nichts mit der vermeintlich höheren Produktivität der fleißigen Deutschen zu tun, sondern sind nichts anderes als Raub.

Diese Hegemonie nutzt die deutsche Regierung knallhart aus um Ihre Interessen durchzusetzen. Die immer wieder neuen „Angebote“ zeigen nämlich gerade keine vermeintliche Geduld mit Griechenland, sondern lassen vielmehr erkennen, worum es der deutschen Regierung eigentlich geht: ein Griechenland, das im Euroraum bleibt, aber nicht unter SYRIZA. Ein Verhandlungserfolg dieser Regierung, und sei er noch so klein, soll mit allen Mitteln verhindert werden. Dass dafür allein finanzielle Gründe entscheidend sein sollen, fällt angesichts der bisher zur Wiederherstellung der Stabilität der Eurozone aufgewendeten Milliarden schwer zu glauben. Hier geht es tatsächlich darum, ein Exempel an einem Land zu statuieren, dass sich nicht an die deutschen Spielregeln halten will. Dafür wird ironischerweise die Stabilität der Eurozone riskiert, die man doch die ganze Zeit zu retten vorgibt.

4. Im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“

Die griechische Delegation hat sich nicht zuletzt dadurch unbeliebt gemacht, dass sie während der Verhandlungen nicht nach den in diesem Rahmen üblichen Gepflogenheiten agierte. So wurden beispielsweise interne Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dann auch noch ein Referendum zu initiieren passt einfach so gar nicht in den gewohnten Ablauf der auf europäischer Ebene geführten Verhandlungen, so dass alle Beteiligten sichtlich Mühe hatten, ihre demokratische Contenance wiederherzustellen. Es ist der griechischen Delegation zu danken, dass diese Verhandlungen so transparent sind wie wahrscheinlich kaum eine andere auf europäischer Ebene.

Die Vertreter*innen der reichen und dominanten EU-Staaten meinen wie selbstverständlich, als „Geber*innen“ über die (interne) Politik kreditabhängiger Staaten verfügen zu können. Demokratische Prozesse und Legitimation werden dabei für irrelevant und nichtig erklärt. Wenn griechische Repräsentant*innen darauf bestehen, wird ihnen schnell ein Anti-EU-Kurs vorgeworfen, der den eigenen Nationalstaat zu Lasten der Union  unlauter bevorteile. Die EU wird als quasi neutraler, postnationaler Verband dargestellt, obwohl sie durch nationale – deutsche – Hegemonien strukturiert ist und Nationalismus weiter reproduziert. Die europäischen Verträge entstanden nicht in einem fröhlichen Zusammenkommen gleichberechtigter Akteur*innen, sondern unter ökonomischen und politischen Machtverhältnissen. Und diese spiegeln sie wider. Nur so kann Deutschland gleichzeitig über „europäische Werte“ säuseln, um im nächsten Atemzug deutsche Interessen, Steuergelder und Ersparnisse vor anderen Europäer*innen beschützen zu wollen. Deutsche Politiker*innen verkleiden ihr nationales Getöse im Namen Europas und delegitimieren griechische Forderungen als nationalen Backlash.

Antidemokratisch ist auch das vielzitierte Diktum der Alternativlosigkeit. Es verneint Entscheidungs- und Handlungsfreiheit und erklärt somit die demokratische Aushandlung für unnötig.

5. Austerität oder Keynes?

Neoliberale Enteignung wird als „Sparpolitik“ verkauft. Jede Volkswirtschaftler*in weiß, dass Sparen in der Rezession diese verschärft. Das ist eben kein einzelner Haushalt oder Betrieb, in dem „über seine Verhältnisse gelebt“ wurde und wo man jetzt mal die Kröten eine Weile zusammenhält, damit man sich dann „wieder etwas leisten“ kann. Wachstum wird finanziert, entweder durch staatliche Subventionen oder private Kredite. Wer viel importiert, muss sich viel leihen. Wer will, dass andere viel importieren, damit man selbst „Exportweltmeister“ werden kann, muss anderen was leihen, damit sie die schönen U-Boote auch kaufen können. Bei einem System, wie dem europäischen Binnemarkt, muss am Ende eine*r  zahlen. Als Alternative zur derzeitigen Austerität liegt eine an Keynes orientierte Agenda auf dem Tisch, also staatliche Ausgaben erhöhen – und so soll es wieder berauf gehen. Auf das logische Problem, dass Wachstum begrenzt ist, wird erst gar nicht eingegangen. Zudem lässt sich keynesianische Politik nur durch einen starken Staat verwirklichen.
Wir wollen hier nicht einem Keynesianismus das Wort reden. Die Eigentumsfrage muss gestellt werden, damit basisdemokratisches Wirtschaften möglich wird. Die so genannte Europäische Wertegemeinschaft zeigt uns in aller Deutschlichkeit, wie sie mit „Überflüssigen“ umgeht. Ob diese nun im Mittelmeer ertrinken oder innerhalb Europas abgeschoben werden, oder verelenden, wen juckt das schon? Das ist ja das schöne an dieser Ideologie: trage alle Lasten und Risiken „eigenverantwortlich“ selbst und habe nichts. Wir fordern stattdessen eine partizipatorische und basisdemokratische Gesellschaft, die auch egalitär und demokratisch über Ressourcen und Arbeitsverteilung entscheidet.