Interview mit Alexandra Pavlou, Mitarbeiterin der solidarischen Klinik K.I.F.A in Athen

Eine gekürzte und redigierte Fassung des Interviews ist am 13. März in der Berliner Wochenzeitung Jungle World erschienen. Das Interview ist Teil unserer Bemühungen auf den Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung in Griechenland aufmerksam zu machen. Ausführliche Informationen findet ihr in unserem Aufruf Krank gespart!

In Griechenland ist unter dem Druck der Spardiktate das Gesundheitssystem zusammengebrochen. Die Troika, also Vertreter_innen der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds, hat durchgesetzt, dass alle sozialstaatlichen Leistungen, inklusive der Krankenversicherung zwölf Monate nach Verlust des Arbeitsplatzes einzustellen sind.
Die steigende Zahl arbeitsloser Menschen ist ein Indikator auch für die zu erwartenden gesundheitlichen Belastungen. Offiziell sind rund 30% der Bevölkerung in Griechenland nicht mehr krankenversichert. Vermutet wird sogar, dass bereits jede_r Zweite aus der Absicherung heraus gefallen ist.kifa_apotheke
Wer nicht krankenversichert ist, muss die Kosten einer Behandlung vor Ort in bar bezahlen, oder aber das Geld wird am Ende des Jahres über die Steuer eingezogen.
In den letzten Jahren wurden zudem mehrere staatliche Kliniken geschlossen.
Um dennoch eine Behandlung der Armen und Nicht-mehr-Versicherten gewährleisten zu können, sind in ganz Griechenland Social Clinics of Solidarity (SCS), also solidarische Kliniken, eingerichtet worden, in denen Ärzt_innen und andere Mitarbeiter_innen ehrenamtlich arbeiten und versuchen die Gesundheitsversorgung auf diese Weise zu erhalten.

Wir sprechen mit Alexandra Pavlou in Athen. Sie ist Mitarbeiterin der solidarischen Klinik K.I.F.A in Athen.

I: Liebe Alex, Du arbeitest in der solidarischen Klinik K.I.F.A. in Athen und wir wollten Dich zuerst fragen, was K.I.F.A. bedeutet und wie es dazu kam, dass Du Dich dort engagierst?

A: K.I.F.A. bedeutet „Soziale Arztpraxis und Apotheke Athen“ [griech. Übersetzung] und die Praxis besteht seit dem Februar 2013, also ein Jahr jetzt. Ich bin von Anfang an dort engagiert, und das mache ich, weil es eine wirkliche Notwendigkeit ist. Im Moment sind in Griechenland offiziell 3,5 Millionen Menschen nicht (kranken-)versichert. Inoffiziell sind es mehr. Also z.B. die Freiberufler können gar nicht offiziell gezählt werden und das sind sehr viele. Sie können ihre Krankenversicherung nicht mehr bezahlen. Und viele haben auch ihre Familien mitversichert. Das heißt also, die Zahl der Nichtversicherten ist viel höher als 3,5 Millionen. Aber auch diese Zahl – also 3,5 Millionen – ist schon eine sehr hohe Zahl, denn das sind ungefähr 35 Prozent der Bevölkerung.

I: Kannst Du uns etwas zu der Klinik sagen, in der Du und Deine Kolleg_innen arbeiten, z.B. wie Euer Alltag aussieht oder wie viele Menschen bei Euch arbeiten? Ob Ihr das ganztägig oder halbtags macht, und vor allem womit Ihr Euer Geld zum Leben verdient?

A: Wir helfen dort alle bei der Klinik umsonst, also wir arbeiten nicht dort, wir werden nicht bezahlt. Wir sind ungefähr 100 Leute, die dort engagiert sind. Das sind ungefähr 50 Ärzte und die übrigen sind im Sekretariat oder auch an anderen Posten, wo es notwendig ist. Und ich z.B. bin arbeitslos seit ungefähr zwei Jahren. Viele von den Leuten, die dort mithelfen, haben noch eine Arbeit, andere nicht, so wie ich. Es gibt auch einige Rentner. Es gibt auch bei den Ärzten Rentner, aber die meisten haben eine eigene Praxis oder arbeiten in Krankenhäusern.

I: Das heißt die machen dann Überstunden bei Euch?

A: Ja. Und die meisten, die dort mitmachen arbeiten etwa 2 bis 4 Stunden in der Woche. Aber es gibt auch andere, die zwei oder dreimal Woche kommen. Ich z.B. gehe zweimal pro Woche. Ich habe dann aber natürlich auch zu Hause für die Praxis (K.I.F.A.) zu tun. Ich mache so eine Art Koordination. Wir haben aber auch Ärzte, die uns helfen, die Patienten, die uns aufsuchen, in ihren Praxen zu sehen. Wir haben ungefähr sechs Ärzte, die das machen. Und dann haben wir natürlich auch einige Ärzte, die uns helfen, also die in Krankenhäusern arbeiten und dort helfen. Also wir schicken Patienten zu ihnen, weil in der Praxis kann der Arzt die Patienten untersuchen, aber es gibt Untersuchungen, die wir nicht machen können. Das muss außerhalb gemacht werden und da helfen uns auch inoffiziell viele Ärzte in Krankenhäusern, z.B. beim Röntgen oder Blutuntersuchungen.

I: Das heißt, dass die Räume, in denen Eure Praxis oder Eure Klinik untergebracht ist, stellen gar nicht alles zur Verfügung, sondern sind eher klein? Wie ist Eure Ausstattung?

A: Die Klinik ist in zwei Wohnungen untergebracht. Anfangs hatten wir nur eine Wohnung, jetzt haben wir noch eine zweite. Die Miete für die neue Wohnung wird von Griechen, die in Belgien leben, für ein Jahr bezahlt. Wir haben zwei Zahnarztstühle, also bei der Zahnbehandlung wird fast alles hier gemacht. Also wir können z.B. keine Brücken machen, das ist zu teuer. Und letztens haben wir auch aus Deutschland ein Ultraschallgerät bekommen. Wir erwarten jetzt noch ein weiteres. Und so können wir auch Ultraschall machen, aber wir haben nicht die Möglichkeit Blutuntersuchungen zu machen. Das wird dann in Krankenhäusern inoffiziell gemacht. Inzwischen haben wir aber auch eine Zusammenarbeit mit einem privaten Diagnostikzentrum, das uns im Monat ungefähr 15 Untersuchungen umsonst macht. Und wir versuchen noch weitere private Diagnostikzentren zu finden, weil es in den Krankenhäusern sehr schwierig ist. Da gibt es keine Möglichkeiten für offizielle Untersuchungen. Die Kürzungen, die gemacht worden sind in den letzten Jahren, haben die Krankenhäuser in eine wirklich katastrophale Lage gebracht. Es werden auch einige kleine Operationen bei uns gemacht, wenn keine Narkose gebraucht wird, also wirklich kleine Sachen. Das macht ein Angiochirurg bei uns. Wir haben eine Apotheke. Ein Zimmer in der Praxis ist für die Apotheke vorgesehen. Die Medikamente werden zu 99% von einfachen Menschen gebracht, die sie nicht mehr brauchen. Das Problem ist ja inzwischen nicht mehr nur die Behandlung, sondern auch die Medikamente. Also viele Menschen können sich ihre Medikamente nicht mehr kaufen, also die Nichtversicherten. Wir haben aber auch ein Problem mit den Versicherten, denn sie müssen auch einen Teil bezahlen. Das bezahlt nicht alles die Krankenkasse und es werden immer mehr Menschen, die auch den Anteil nicht mehr bezahlen können. Deshalb kommen inzwischen auch Versicherte. Die humanitäre Krise spitzt sich immer mehr zu.

I: Das betrifft eine Frage, die wir hatten. Wie geht Ihr damit um, wenn Ihr Menschen nicht helfen könnt, weil die Medikamente eben zu teuer sind?

A: Ja, das ist eine sehr schwierige Geschichte auch für uns, Menschen wegschicken zu müssen, also Versicherte. Wir machen einige Ausnahmen bei sehr alten Menschen. Es geht aber leider nicht anders, denn die Medikamente sind ja begrenzt. Wir bekommen ja nur die Medikamente, die uns die Menschen von zu Hause bringen. Und man kann sich natürlich vorstellen, dass wir nicht alles haben. Wir haben zwar sehr viele, also einen ganzen Raum, so um die 15 qm voll mit Medikamenten. Aber es fehlen auch oft wichtige Medikamente oder wir haben sie für zwei Wochen nicht, z.B. Krebsmedikamente. Krebskranke sind in einer sehr, sehr schwierigen Lage. Wir hatten in einer anderen Solidarklinik den Fall, wo der Krebskranke dann gestorben ist, weil er seine Medikamente nicht kaufen konnte. Trotz aller Mobilisierungen und Zusammenarbeit konnten wir das Medikament nicht bekommen. Das Problem betrifft auch Aids-Kranke. Das ist eine sehr schwierige Situation.

I: Liegt das daran, dass die Medikamente zu teuer sind, dass die Menschen sterben?

A: Natürlich sind die Medikamente für Krebskranke sehr teuer. Ein Mensch, der nicht versichert ist, kann sich das überhaupt nicht leisten, wenn er nicht reich ist. Der Staat kümmert sich eben nicht mehr um diese Menschen. Bei anderen mussten wir wirklich eine wahnsinnig große Mobilisierung machen, auch über die Medien, damit sich der Staat offiziell um sie kümmert. Also für die Krebskranken sind die Medikamente sehr teuer und für die anderen… die müssen ihren Anteil zahlen. Früher war das auch ok, also sie konnten zehn oder mehr Prozent bezahlen. Aber inzwischen, in dieser Situation wo auch die Löhne gekürzt wurden, da ist es für die Leute eben sehr schwierig ihre Medikamente zu kaufen.

I: Haben solche Kampagnen Eurerseits Erfolg, also wenn Ihr Euch dann an den griechischen Staat richtet, um Medikamente finanziert zu bekommen?

A: Das Geld kommt nicht vom Staat. Alle solidarischen Kliniken werden entweder von Privatleuten finanziert oder durch Spenden, die verschiedene Gruppen und Gewerkschaften auch aus dem Ausland machen. Von überall kommen Spenden. Von hier von „Solidarität für alle“ (solidarity4all). „Solidarität für alle“ ist eine Organisation, bzw. das Geld von „Solidarität für alle“ wird von den Abgeordneten der SYRIZA bezahlt und das Geld geht an verschiedene solidarische Zusammenhänge. Also nicht nur die Kliniken, sondern auch andere solidarische Projekte, die z.B. mit Nahrung zu tun haben, werden darüber finanziert. Das Problem betrifft ja nicht nur die Krankenversorgung, sondern auch die Lebensmittelversorgung, also alles. Wir stecken wirklich in einer sehr sehr großen humanitären Krise. Vor kurzem hatten wir eine Demonstration vor zwei Krankenhäusern in Athen, die auf Krebserkrankungen spezialisiert sind. Dort hatten wir eine Demonstration mit den Ärzten und anderem Personal, das in den Krankenhäusern arbeiten.

I: Also Ihr arbeitet mit den Krankenhäusern und den privaten Kliniken zusammen?

A: Mit den privaten Kliniken nicht. Nur mit diesen Diagnostikzentren. Mit den Krankenhäusern arbeiten wir nicht offiziell zusammen. Deshalb hatten wir auch die Demonstration vor den Krankenhäusern.

I: Also da gibt es Konflikte?

A: Ja ja, also da helfen uns nur einige. Die meisten Ärzte, aber nicht die Verwaltung. Die Verwaltung hat ja, sagen wir mal, den Befehl, dass wenn jemand nicht bezahlen kann, dass er dann nicht behandelt wird. Oder es wird eben danach Geld verlangt. Er wird vielleicht behandelt, bekommt aber dann von der Steuer eine Rechnung, auf der 5.000 Euro drauf stehen.

I: Alex, wie lange gibt es denn die solidarischen Kliniken und was sind Eure Grundsätze, Prinzipien oder Eure gemeinsame Idee, nach der Ihr handelt oder behandelt?

A: Diese Kliniken gibt es ungefähr seit zwei oder zweieinhalb Jahren. Die erste wurde in Thessaloniki gegründet. Die Kliniken sind offen. Wir machen keine Unterschiede, ob es z.B. Griechen oder Ausländer sind. Das ist selbstverständlich. Der Grund für die solidarischen Kliniken ist diese Krise, in der viele Menschen keinen Zugang mehr zum Gesundheitswesen haben. Alle solidarischen Kliniken in Griechenland arbeiten zusammen. Unser Ziel ist es nicht den Staat zu spielen, wir sind der Meinung, dass der Staat für die Krankenversorgung zuständig ist. Wir machen das nur so lange der Staat sich dieser Verantwortung entzieht. Unser Ziel ist es, dass wir bald nicht mehr nötig sind. Wir machen das auch nicht nur aus Menschenfreundlichkeit. Es ist eine politische Tat. Wir geben nicht nur Hilfe, so wie die Kirche, sondern unser Ziel ist es auch, die Menschen aufrecht zu erhalten, damit sie gegen die Situation kämpfen können. Dass wir alle zusammen dagegen kämpfen können. Deshalb machen wir auch Demonstrationen, wie z.B. jetzt vor den Krankenhäusern. Also das Prinzip ist Solidarität – nicht Wohlfahrt. Mit dieser Hilfe unterstützen wir den Kampf gegen die Ursachen, die uns bis hierher gebracht haben.


I: Und welche Ursachen siehst Du da konkret?

A: Die Ursache ist die Finanzpolitik (Austeritätspolitik), die Memoranden und die Politik, wie sie in ganz Europa gemacht wird. Das ist die Politik der Sparmaßnahmen, die neoliberale Politik und dagegen wollen wir ankämpfen.

I: Wie viele solcher solidarischen Kliniken gibt es denn Griechenland und wie würdest Du die Landschaft der Kliniken beschreiben?

A: Ich weiß nicht die genaue Zahl, aber es sind ungefähr 50 Kliniken und Apotheken. Es gibt auch einige, die ‘nur’ Sozialapotheken sind. Aber es werden mehr, denn es sind so viele Millionen Unversicherte. In Attika/Athen gibt es fünf. Wir sind zum Beispiel hier im Zentrum. Wir haben seit einem Jahr ungefähr 2.000 Patienten. Also die Besuche sind natürlich mehr als 2.000, aber die Zahl der Patienten liegt ungefähr dort. Und man kann sich vorstellen, dass bei so vielen Millionen, ist das wirklich ein Tropfen im Ozean.

I: Und wenn Du jetzt so die Gesamtheit der SCS in Griechenland betrachtest, was gibt es da so für Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Und wo steht Eure Klinik dabei?

A: Die Unterschiede sind eigentlich nicht nennenswert, also was die Prinzipien betrifft. Also keine von diesen Kliniken wird vom Staat finanziert. Es gibt eine solidarische Klinik hier in Attika, die ist ein bisschen außerhalb, die wird dort von der Stadt unterstützt. Da werden die Räume von der Stadt zur Verfügung gestellt. Einige sind kleiner, einige sind größer, aber eigentlich prinzipiell keine Unterschiede. Keine von diesen Kliniken macht Ausgrenzungen.

I: Wir haben hier gehört, dass es auch die Bestrebungen gibt „wir sammeln Blut für die Griechen“, also was eher aus der Richtung der Goldenen Morgenröte kommt. Da ist Dir aber nichts bekannt?

A: Die Goldene Morgenröte betreibt keine solchen Kliniken. Die sind in Krankenhäuser gegangen und haben gesagt, „Wir geben Blut nur für Griechen.“. Die Nazis können so was nicht aufbauen (lacht). Die Krankenhäuser haben sich bei dieser Aktion der Goldenen Morgenröte geweigert. Also die haben gesagt, „wir nehmen Euer Blut, aber das geht an alle“. Die Sozialkliniken wurden durch Menschen aufgebaut, die – ich meine jetzt nicht Parteien – aber von bestimmten politischen Farben. Es gibt auf jeden Fall keine Klinik, die von Rechtsextremisten gegründet wurde.

I: Gibt es eine Vernetzung unter Euch als Kliniken beziehungsweise einen gemeinsamen politischen Protest?

A: Ja ja, also wie ich es vorhin gesagt habe, es gibt ein Koordinationsgremium in Attika. Das trifft sich auch regelmäßig, um das Funktionieren der Kliniken zu erleichtern. Und es kümmert sich auch um die Koordinierung des politischen Protests, wie z.B. die Demonstration vor einer Woche. Aber gibt auch ein Koordinierungsgremium, in dem alle Kliniken Griechenlands organisiert sind. Es gibt auch eine Charta der Solidarkliniken in Griechenland.

I: Du bist vorhin schon mal auf die neoliberale Politik eingegangen, als eine Ursache für die Krise. Der Neoliberalismus setzt ja nun auch darauf, dass vormals staatliche Aufgaben privatisiert werden. Von dieser Perspektive aus, kommt ihr der nicht-staatlichen Gesundheitsversorgung entgegen. Wie diskutiert Ihr das? Seht Ihr das eher als einen emanzipatorischen Schritt, solidarische Praxen, jenseits des Staates zu üben?

A: Es gab diese Diskussion. Aber in so einer humanitären Krise kann man einerseits die Menschen nicht im Stich lassen, weil die können wirklich nirgendwo hin. Und andererseits versuchen wir ja durch das politische Engagement zu verdeutlichen, dass wir keine „privaten“ Projekte sind, die den Staat entlasten. Wir sehen uns als solidarische Geschichten, nicht als Wohlfahrtsgeschichten, solidarische Projekte mit einem politischen Hintergrund.

I: Und erklärst Du Dir so, dass es auch Repression gibt? Wir haben gehört, dass die Polizei teilweise ermittelt, wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz?

A: Ja ja, natürlich. Wir sind denen auch ein Dorn im Auge. Weil wir Widerstand gegen diese Katastrophe leisten.

I: Aber eigentlich müsste der griechische Staat doch froh sein, dass sich die Menschen ihre Gesundheitsversorgung selbst organisieren?

A: Er ist nicht froh, denn wir versuchen politische Arbeit zu machen, jenseits der Parteien.

I: Und Ihr habt auch keine Angst, dass Parteien Euch vereinnahmen? Du hattest ja gesagt, dass die SYRIZA die Strukturen zum Teil mit finanziert?

A: Nein, „Solidarität für alle“ versucht nicht das zu instrumentalisieren. SYRIZA hält sich da im Hintergrund.

I: Ich habe noch eine Frage zur Rolle der Bundesrepublik Deutschland. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat gemeinsam mit dem deutschen Bundesministerium für Gesundheit eine Gesamtstrategie für den strukturellen Umbau der Gesundheitsversorgung in Griechenland erarbeitet. Unter anderem wurde das umstrittene Modell der Krankenhausabrechnungen nach Fallpauschalen exportiert. Gleichzeitig wirbt die deutsche Bundesregierung im Ausland um Fachkräfte und damit auch griechisches Fachpersonal. Wie bewertest Du diese Situation?

A: Ja, das wird versucht jetzt durchzusetzen und das werden sie auch schaffen, wenn die Regierung nicht vorher fällt. Und das wäre dann auch das Ende. Also dieser Umbruch wird viel rigider durchgesetzt als in Deutschland. Unser Gesundheitssystem wird bald an das der Vereinigten Staaten (USA) erinnern. Also es wird so werden, dass Gesundheit nur noch bekommt, wer dafür bezahlen kann. Die größte Krankenkasse mit vielen Polikliniken sollen jetzt auch bald geschlossen werden (Am 18.02. geschehen). Die Ärzte streiken jetzt deswegen. Wenn die dann zu sind, heißt das für die Menschen, dass sie dann bezahlen müssen. Und: die verbliebenen Kliniken behandeln nach Fallpauschalen. Das ist ja nicht nur in Griechenland so, das ist auch in anderen südeuropäischen Ländern so. Die Krankenhäuser leiden auch immer weiter unter Personalmangel. Ich nenne das immer „Verblutung“ und das betrifft nicht nur die Ärzte.

Wir haben bisher immer noch freie, kostenlose Universitäten. Und man bezahlt das Studium von den jungen Menschen, damit sie ihr Wissen an die Gesellschaft zurückgeben. Und in den letzten Jahren sind eben mehrere hunderttausend junger Menschen ausgewandert. Das sind im Gegensatz zu den 1960iger und 70iger Jahren eben jetzt Studierte.

I: Das klingt nach einer sehr bedenklichen Situation in Griechenland, also nicht nur wegen der aktuellen Gesundheitsversorgungskrise, sondern das klingt einer nachhaltigen Zerstörung des Gesundheitssystems in Griechenland. Wenn die Ausgebildeten ins Ausland abwandern, wer versorgt dann in Zukunft die Kranken?

A: Genau, das ist das Problem. Das ist nachhaltig. Man kann nicht vorhersehen, was geschehen wird. Wenn man diese Richtung jetzt nicht stoppt, dann ist das Land für mindestens zwei Generationen zerstört.

I: Gibt es denn auch im Umfeld Eurer Klinik Menschen, die auswandern?

A: Wir haben einen Arzt, der arbeitslos ist. Er hat seine Stelle verloren und er findet nichts. Er war vor kurzem auch in England und hat versucht sich zu bewerben. Also er wird sicher bald nach England oder nach Skandinavien gehen, irgendwo, wo er was findet.

I: Du hast vorhin erwähnt, dass die griechische Gesellschaft vor großen Veränderungen steht. Was denkst Du, wie das perspektivisch aussehen wird?

A: Also wenn die Situation sich nicht bald ändert, dann sehe ich uns als eine Kolonie mit ganz ganz billigen Arbeitskräften, also wer dann noch überlebt. Das ganze Staatsgut wird an internationale Konzerne verkauft. Das hat schon angefangen.

I: Und kannst Du Dir eine Alternative dazu vorstellen, also dass es anders kommt, und wie es kommt?

A: Die einzige Alternative, die ich mir vorstellen kann und ich hoffe, dass das SYRIZA machen kann, ich hoffe, dass die Basis in diese Richtung drängt, dass wir nichts mehr bezahlen von den Krediten, das Geld geht alles an den Wiederaufbau und wir müssen natürlich unsere Produktionsbasis wieder aufbauen. Die wurde ja in den letzten vierzig Jahren zerstört durch die EU. Griechenland ist ja ein kleines Land, und da hat es auch nicht so viel zu sagen. Wir hatten früher eine starke Agrarwirtschaft und wir hatten auch eine kleine Industrie. Die gibt es überhaupt nicht mehr. Das heißt, die Produktionsbasis muss wieder hergestellt werden, Kredite nicht bezahlen, oder kontrollieren, welche Kredite überhaupt legal sind und wenn sein muss: raus aus dem Euro.

I: Und die Reparationszahlungen aus Deutschland, die ja schon lange ausstehen, kann man auch einfordern.

A: Das auch. Ja.

I: Es gibt ja viele verschiedene selbstorganisierte Strukturen mittlerweile in Griechenland. Wie siehst Du das? Gibt es da Potential für neue soziale Bewegungen oder gar eine emanzipatorische Revolution? Können andere linke Projekte z.B. in Europa von den griechischen Initiativen lernen? Oder denkst Du, dass das eigentlich zum Scheitern verurteilt ist?

A: Wenn die brutale Politik weiter andauert, ist das zum Scheitern verurteilt. Es wird dann nur kleine Inseln geben, in den versucht wird z.B. anders zu produzieren. Ich denke, diese Geschichten können beim Aufbau mithelfen, aber nur, wenn es einen generell neuen Anfang gibt. Ich war immer der Meinung, dass so kleine Inseln in so einem Ozean der kapitalistischen Produktionsweise, dass sie eigentlich keine Chance haben.

I: Gibt es denn Unterstützung aus dem Ausland und in welcher Form? Beziehungsweise die Frage zielt eigentlich darauf ab, was kann man tun, um Euch zu unterstützen?

A: Außer z.B. Geldspenden oder Medikamente zu geben, ist es für uns wichtig, dass im Ausland und auch in Deutschland bekannt wird, was hier vor sich geht. Es für uns sehr wichtig, dass die Menschen in Europa oder in Deutschland erfahren, wie die Situation hier ist und dass das nicht an den „faulen Griechen“ oder „faulen Spaniern“ liegt, sondern dass es an einer bestimmten Politik liegt, die in den letzten Jahren immer aggressiver wurde.

Vielen Dank.

Das vollständige Interview kann hier angehört werden.

Dank der eingegangenen Geldspenden konnten wir Mitte Februar bereits einen Betrag von 700 EUR an die K.I.F.A. / „Soziale Arztpraxis und Apotheke Athen“ spenden. Wir bedanken uns bei allen Spendensammler_innen und Spender_innen!