Stadt für alle

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Stadt für alle gibt es auch als Audiobeitrag. Als Redebeitrag kam er auf der Tolerade und auf dem Stadtteilspaziergang „Keine Abschiebung aus unseren Vierteln. Alle bleiben!“ am 19. Mai zum Einsatz.

 

Recht auf Stadt für alle!

„Recht auf Stadt“ und „Never mind the Papers!“ sind die Vision einer städtischen Gesellschaft, die keine nationale Zugehörigkeit kennt, in der das Recht auf Stadt keine sozialen Grenzen hat und nicht mehr von Papieren abhängt. Denn so verstehen wir Stadt: Nicht als abgegrenzten Raum, sondern als etwas, das durch diejenigen lebt, die ihn ihr zuhause nennen. Die Stadt sind alle, die hier sind. Deshalb sind unsere Belange die Belange der Stadt. So einfach ist das.

Die Würde einer Stadt zeigt sich im Umgang mit Neuankömmlingen. Sie fragt nicht: Woher kommst du? Sie sagt: Gut, dass du da bist!
Für viele Dresdner*innen ist dieser Gedanke keine Selbstverständlichkeit. Zwar gibt es einige Willkommensinitiativen und (sozio-)kulturelle und alternative, linke Projekte, die gemeinsam mit Geflüchteten soziales Miteinander leben und politische Kämpfe bestreiten. Fast alle Kultureinrichtungen der Stadt, Menschen aus vielen Vereine, sozialen Zentren und Wohnprojekten leben und organisieren schon jetzt mit Geflüchteten gemeinsam einen neuen städtischen Alltag. Den Kampf gegen Alltagsrassismus in Institutionen, im öffentlichen Raum und in den Köpfen bestreiten wir gemeinsam. In Dresden finden viele rassistische Demonstrationen, Übergriffe und rassistischer Alltag statt. Dieser volkstümliche Rassismus macht Dresden zum Dorf und ist genau das nicht was eine Stadt ist: Ort verschiedener Menschen!

Stadt – Ort der Unterschiedlichkeit und politischer Solidarität
Die Stadt ist in Gefahr durch Privatisierung, Verdrängung und Rassismus. Die Stadt besitzt beste Voraussetzung für eine individuelle Lebensgestaltung in Solidarität, da die Stadt ein Ort ständiger Veränderung, Diskussion und Unterschiedlichkeit ist. Die städtische Verdichtung gibt der Vielstimmigkeit einen Raum. Die widerständige Aneignung öffentlicher Räume durch Refugees, beispielsweise mit dem Camp auf dem Theaterplatz, spielen dabei eine wichtige Rolle. Erprobt werden hier notwendige Strategien für eine Stadtgesellschaft, die für gleiche Rechte aller einsteht. Es geht um soziale Gerechtigkeit von unten als ein kooperatives Werk aller Stadtbewohner*innen.

Ausgerechnet diese Stadt?
Leben in Sachsen heißt oft Leben in schlechter Gesellschaft. Seit über einem Jahr nehmen tausende Menschen an den rassistischen Pegida-Demonstrationen in Dresden teil. Seitdem werden mehr und mehr Menschen Opfer rassistischer Angriffe. Regelmäßig sammeln sich Rassist*innen vor Asyl-Unterkünften, verbreiten Pogromstimmung und greifen die Busse oder die Unterkünfte an. Pegida nimmt in großem Ausmaß den öffentlichen Raum ein – die Straßen und Plätze dieser Stadt sind in dieser Zeit für Geflüchtete und People of Color nicht sicher. Auch linke und alternative Stadtviertel und Initiativen sind Angriffen ausgesetzt. Dresden ist zum Ort rassistischer Hetze und Gewalt geworden.

Alle?
Wenn wir Recht auf Stadt für alle sagen, meinen wir alle solidarischen und antirassistischen Städter*innen. Wir wollen um die Stadt kämpfen in klarer Opposition zu denen, die Dresden zur deutschen Dorfgemeinschaft erklären wollen. Recht auf Stadt bedeutet für uns nicht nur schöner Wohnen, sondern Recht auf öffentlichen Raum, Bewegungsfreiheit in der Stadt und die Möglichkeit, uns zu versammeln, zu demonstrieren und unsere Kritik öffentlich kund zu tun.
Wir glauben, dass es gerade jetzt notwendig ist, solidarische Praxen und Strukturen zu entwickeln. Wir wollen nicht all unsere Kraft in der rassistischen Stimmung verpuffen sehen, sondern uns und andere gegenseitig bestärken. Charity für Refugees reicht nicht aus. Solidarität muss politisch werden. Es geht darum, gemeinsam politisch tätig zu sein, um eine Stadt zum Ankommen und Leben zu erkämpfen — mindestens jedoch Räume in dieser Stadt zu erkämpfen.

No Lager – No Tentcamp
Im Juli 2015 begann das Deutsche Rote Kreuz im Auftrag der Landesdirektion Sachsen in Dresden-Friedrichstadt ein Zeltlager für die Erstaufnahme von eintausendeinhundert Geflüchteten zu errichten. Dreißig Großzelte – ein Bild, das wir bislang nur aus den ärmsten Ländern der Welt kannten. Die Kritik an dieser Art der Unterbringung führte nicht zur Abkehr von Massenunterkünften. Im Gegenteil: bis heute kamen weitere Zeltlager und die Unterbringung von Geflüchteten in Turnhallen, leerstehenden Baumärkten und Schulen hinzu. Offenbar ist nicht die menschenwürdige Unterbringung ein Ziel, sondern die Abschreckung der Geflüchteten und ihre Entwürdigung. Die Inszenierung eines Zeltlagerbildes soll die dort untergebrachten Menschen deutlich abgrenzen gegenüber allen anderen Dresdner*innen. Die Zeltlager und andere Massenquartiere zielen auf Separation und Isolation. Den Geflüchteten und den zahlreichen Refugees Welcome Aktivist*innen ist es zu verdanken, dass diese Grenzziehung gestört wird. Anders als der Freistaat Sachsen hat die Stadt Dresden bis Oktober 2015 Geflüchtete in festen Behausungen untergebracht. Aufgrund der niedrigen Temperaturen quartierte sie die im Zeltlager untergebrachten Menschen in städtischen Turnhallen ein. Auch dieses Jahr werden weitere Asylsuchende ein Quartier benötigen. Für sie sollen Plätze in leerstehenden Hotels, ungenutzten Immobilien und Leichtbauhallen entstehen. Warum kommen hierfür nicht die 20.000 in Dresden leer stehenden Wohnungen in Frage?1 Jede Nacht in einer Turn- oder Leichtbauhalle ist eine zuviel!

Die kleingesparte Stadt
Die Spielräume städtischer Realpolitik wurden in Dresden in den vergangenen zwei Jahrzehnten aufgrund kommunalpolitischer Entscheidungen stark reduziert. Als Spitzenreiter beim Stadtumbau Ost bei gleichzeitigem Bevölkerungszuwachs haben CDU und FDP erfolgreich den Wohnraum verknappt und Immobilienwerte gesteigert. Seit 2001 verlor Dresden mehr Wohnungen als neu gebaut wurden und schrumpfte seinen Leerstand auf derzeit 7%. Dramatisch wirkte sich auch der Verkauf des Großteils städtischen Wohnungseigentums in Form der WOBA aus. Die in Folge des Verkaufs gegründete Aktiengesellschaft GAGFAH, welche nach weiteren Zu- und Verkäufen inzwischen Teil des größten, deutschen Wohnungsunternehmen Vovonia ist, konnte mit ihrer Monopolstellung strategisch und flächendeckend verkaufen, sanieren, vermieten und/oder leer stehen lassen und dabei den Mietspiegel erhöhen. All diese Entwicklungen sorgten dafür, dass die Stadt nun auf der Suche nach geeigneten Unterkünften für Flüchtlinge auf dem privaten Wohnungsmarkt auf teilweise lächerlich überzogene Angebote einsteigen muss.

Social Center for All
Gegen diese menschenunwürdige Art der Unterbringung die keine Partizipation und politische Organisierung ermöglicht, haben bundesweit verschiedene  Initiativen in den vergangenen Wochen Objekte besetzt und sie zu SOCIAL CENTER FOR ALL erklärt. Sie haben Räume für dezentrales Wohnen, Zusammenkommen, Kooperation und Organisierung von Geflüchteten und Nicht-Geflüchteten geschaffen. Sie haben damit außerdem die Politik des Leerstandes in Frage gestellt.
Stattdessen praktizieren sie Selbstverwaltung, Begegnung, Austausch und kulturelle Produktion und fordern den Zugang zu sozialer Infrastruktur für Alle!

No Homes without people – no people without homes!
Andere Projekte bundesweit:
 

1 In Dresden stehen 20.000 Wohnungen leer. Der Leerstand verteilt sich über alle Stadtteile der Landeshauptstadt. Am höchsten ist er im Westen Cottas mit rund 3.900 und in Blasewitz mit 2.400 Wohnungen. Den geringsten Leerstand verzeichnet Klotzsche mit 1.150 Wohnungen, http://www.menschen-in-dresden.de/2015/symposium-wohnen-in-dresden-20-000-wohnungen-in-dresden-stehen-leer/

CITY FOR ALL

„Right to the city“ and „Never mind the Papers!“ are the vision of an urban society that does not know any national membership, where the right to the city does not have any social borders and does not depend on papers any more. Because this is how we understand city: not as a marked-off space but as living through those who call it their home. The city are all that are here. That’s why our concerns are the concerns of the city. It’s just that easy.

The dignity of a city is shown by its interaction with newcomers. It does not ask: where do you come from? It says: good, that you’re here!
For many people in Dresden, this does not go without saying. Indeed, there are some welcoming initiatives and (socio-) cultural and alternative, left projects, which live social togetherness  with refugees and fight political struggles. Almost all cultural institutions in the city, people in many associations, social centers and house projects already live and organize a new urban day-to-day together with refugees. We struggle together against everyday racism in institutions, in the public space and inside the heads. In Dresden, there are lots of racist demonstrations, attacks and daily routine happening. This popular racism turns Dresden into a village and this is exactly not that, what makes a city a city: space of different people.

City — place of difference and political solidarity
The city is in danger through privatization, displacement and racism. The city offers ideal conditions for shaping live individually, because it is a place of continuous change, discussion and difference. The urban concentration makes room for diversity of voices. The resisting appropriation of public space by refugees, for example with the camp on Theaterplatz (theater square), plays an important role for this. Here, necessary strategies for an urban society, standing up for equal rights, are tested. It is about social justice from below as a cooperative product of all citizens.

Why this city of all?
Life in Saxony often means living in bad company. For over a year thousands of people have been participating in the racist Pegida demonstrations in Dresden. Since then, more and more people have become victims of racist attacks. Regularly, racists gather in front of asylum accommodations, whip up a pogrom-like atmosphere and attack busses and accommodations. Pegida occupies the public space on a big scale — the streets and squares of this city are not safe for refugees and people of color during that time. Left and alternative initiatives and neighborhoods are exposed to attacks, too. Dresden has become a place of racist slander and violence.

Everybody?
When we speak of right to the city for everyone, we think of all solidary and antiracist townspeople. We want to fight for the city in clear opposition to those, who want to declare Dresden a German village community. Right to the city, to us, does not just signify better housing, but right to public space, freedom of movement in the city and the possibility to gather, to demonstrate and to voice our criticism publicly.
We think, that it is necessary right now to develop solidary practices and structures. We don’t want to see all our power fizzled out in the racist atmosphere, but to support us and others. Charity for refugees ist not enough. Solidarity must turn political. It is about acting politically together to fight for a city where one can arrive and stay as well — but to fight at least for spaces in this city.

No camp, no tent camp
In July 2015 the German Red Cross started to build up a tent camp for the intial reception of 1100 refugees in Dresden-Friedrichstadt by order of the provincial headquarters Saxony. Thirty large tents — an image we formerly only knew from the poorest countries of the world. The criticism of this kind of accommodation did not lead to turning away from mass accommodations. On the contrary: up until today more tent camps and accommodations in gyms, empty hardware stores and schools have followed. Apparently, the goals is not humane accommodation, but the deterrent of refugees and their degradation. The political staging of an image of tent camps is supposed to decisively dissociate the accommodated people from all the other Dresden inhabitants.  The tent camps and other mass accommodations aim at separation and isolation. It is thanks to the refugees and the many refugees welcome activists that this drawing up of borders has been disturbed. Other than the state of Saxony the city of Dresden has accommodated refugees in solid housing. Because of the low temperatures it has placed them in municipal gyms. This year even more refugees will be in need of accommodation. They are supposed to move into empty hotels, unused properties and lightweight buildings. Why are the 20,000 empty apartments in Dresden not in line for this? Any night inside a gym or lightweight building is a night too much!

A City Saved Small
Decisions in local politics have strongly reduced the scope of municipal real politics in Dresden for twenty years. The Christian Democratic Union (CDU) and the Free Democratic Party (FDP) have turned living quarters scarce and raised property value: frontrunner in urban restructuring in Eastern Germany at the same time with population growth. Since 2001 Dresden has los more apartments than new ones have been built and it has shrunk its vacancy to the current 7 percent. The sale of most of the municipal residential property in form of the WOBA also had dramatic consequences. The subsequently founded stock company GAGFAH, meanwhile belonging to the biggest German housing company Vovonia, used its monopoly position to strategically and exhaustively sale, renovate, lease or leave stay unoccupied apartments, thereby leaving the rent index increasing. All these developments ensured that the city now has to defer to partly ridiculous offers when looking for adequate accommodations for refugees in the private housing sector.

Social Center for All
All over the country, many initiatives have occupied buildings and declared them SOCIAL CENTERS FOR ALL in response to inhume accommodation that do not allow for participation and political organization. Those people have made spaces for decentralized living, coming together, cooperation and organization of non-citizens and citizens. The have thereby called into question the politics of vacancy.
Instead, the practice autonomy, encounter, exchange and cultural production and demand access to social infrastructure for everyone.

No Homes without people – no people without homes!